top of page
VOLKSB.jpg

Wer wir sind

Wir sind ein Netzwerk von Kollektiven und selbstorganisierten Gruppen der feministischen Bewegung in Berlin. Unser Ansatz ist internationalistisch, antirassistisch, antikolonial und klassenkämpferisch gegen das Patriarchat. Unsere Herkunft und Identitäten mögen unterschiedlich sein, aber uns vereint das gemeinsame Streben nach einer Gesellschaft, die sich am Gemeinwohl statt an Profiten orientiert. Selbstorganisation ist unser Mittel, aber auch eines unserer vielfältigen Ziele.  Wir haben uns für die Kampagne „Wir wollen uns lebend“ zusammengeschlossen, weil wir erken­ nen, dass Gewalt gegen Frauen, Mädchen und feminisierte Körper* eine globale Struktur hat, die sich je nach den verschiedenen Überschneidungen von Unterdrückung und Herrschaft ausdrückt und von der weder Deutschland noch Europa ausgenommen sind.

 

PROBLEMDARSTELLUNG

In den letzten zwei Jahren wurden in Deutschland mindestens 337 Frauen von Männern getötet (2019 mindestens 171, 2020 mindestens 166 bis Mitte November). Jeden Tag gibt es einen ver­ suchten Mord, jeden dritten Tag gelingt einer. In den allermeisten Fällen kann von Feminiziden ge­ sprochen werden. Obwohl bei den meisten Feminiziden Frauen von ihren Partnern und Ex­Part­ nern ermordet werden, reicht es nicht aus, nur Daten über partnerschaftliche Gewalt zu sammeln, wie es das Bundeskriminalamt seit 2015 getan hat. Zu Morden an trans, Inter und nicht­binären Personen gibt es keine gesonderten Statistiken und nur sehr selten eine Berichterstattung, die un­ terschiedliche Geschlechtsidentitäten anerkennt.

Es ist unfassbar, wie im deutschen Kontext das gravierende Problem der Morde an Mädchen, Frauen und feminisierten Menschen unsichtbar gemacht wird. Obwohl es alltäglich ist und den Staat und die gesamte Gesellschaft durchdringt. Dieses „unsichtbar machen“ sehen wir stark in der Verantwortung institutioneller Bereiche. Die fehlende Klassifizierung des Begriffs „Femizid“ und seiner Variante „Feminizid“ verhindert nicht nur das Erheben von Daten und damit den Versuch, die Erfahrungen von Mädchen, Frauen und feminisierten Menschen in Zahlen zu fassen, sondern auch deren Verwendung für öffentliche Richtlinien und Gerichtsbarkeiten für Wiedergutmachung und Strafverfolgung bei Mordfällen aufgrund des Geschlechts.

Die geschlechtsspezifische Gewalt hat sich im Zusammenhang mit der Pandemie weiter ver­ schärft, da viele Mädchen, Frauen, Lesben, Inter, nicht­binäre Menschen und trans Personen ge­ zwungen sind, zu Hause zu bleiben und dort ihren Angreifern stärker ausgesetzt sind.

Wir sind äußerst besorgt darüber, wie der Diskurs über geschlechtsspezifische Gewalt von neofa­ schistischen Sektoren benutzt wird, um Rassismus und den Mythos der „Ausländer­Machos“ auf deutschem Boden zu nähren. Deswegen stehen wir für eine feministische Perspektive, welche die Problematik der Gewalt in ihrer Komplexität erfasst und Schuld nicht auf vermeintlich „Andere“ auslagert.

Definition von Feminizid

Feminizid ist der gewaltsame Tod von Mädchen, Frauen und feminisierten Menschen aufgrund ihres Geschlechts. Unabhängig davon, ob er innerhalb der Familie, der häuslichen Einheit oder in einer anderen zwischenmenschlichen Beziehung durch eine Person stattfindet oder vom Staat begangen oder toleriert wird. Der Begriff „Feminizid“ bezieht - anders als der Begriff „Femizid“ - die Verantwortung des Staates für diese Morde mit ein, der entweder durch aktives Handeln oder durch das Unterlassen von Hilfe Teil dieser tödlichen Taten wird. Feminizide sind ein strukturelles Problem und notwendiger Bestandteil eines patriarchalen Systems. Es ist der höchste Ausdruck der unterschiedlichen und komplexen Gewalt, unter der Frauen, Mädchen, Lesben, Inter, nicht-binäre Menschen und trans Personen täglich leiden. Bei Feminiziden geht es um die Unterwerfung von Menschen, die als weiblich eingeordnet werden und um die Aufrechterhaltung von Macht, Kontrolle, Ausbeutung und Unterdrückung.

 

Konkret: Frauen und feminisierte Menschen werden wegen ihres Geschlechts ermordet und weil der Staat nicht die Verantwortung übernimmt, diese Morde zu verhindern. Ganz im Gegenteil. Durch die staatlich-feminizidale Politik werden Mädchen, Frauen und feminisierte Menschen erst recht getötet: tödliche Migrationspolitik, Waffenexporte und Kriegspolitik aus der BRD heraus, kriminalisierende und restriktive Abtreibungsgesetze, fehlende Gerechtigkeit gegenüber Sexismus, Frauenhass, Transfeindlichkeit und Feindlichkeit gegenüber Abweichungen vom binären Geschlechtersystem in der Justiz, ungleiche Bezahlung in der Arbeitswelt, Kriminalisierung von Sexarbeiter*innen, vernachlässigte bzw. ungenügende Unterkünfte für Wohnungslose in Corona-Zeiten, Schließung von Schulen und KiTas anstatt von Massenbetrieben während der Pandemie, immer mehr Kürzungen im Gesundheits- und Pflegebereich bei steigenden Anforderungen, Verharmlosung von sexualisierter Gewalt - insbesondere in Beziehungen - die Liste des staatlichen Zutragens und Aufrechterhaltens des patriarchalen Systems und seiner Auswirkungen könnte noch endlos weiter gehen.

 

Angesichts dieser staatlichen Mitschuld an den Verbrechen gegenüber Mädchen, Frauen und feminisierten Menschen, angesichts des Schweigens der Medien und der Verschärfung der geschlechtsspezifischen Gewalt im Kontext der Corona-Pandemie, ist es dringend erforderlich, dass mehr Menschen ein Verständnis dafür entwickeln, was Feminizide bedeuten und dass wir unsere eigenen Forderungen stellen.

 

Hiermit fordern wir:

 

1. AUFNAHME DER SCHWEREN STRAFTAT „FEMINIZID“ IN DAS STRAFGESETZBUCH UND IN DIE ÖFFENTLICHE SPRACHE!

 

Wir fordern die Klassifizierung von Feminiziden als geschlechtsspezifische Gewalt und geschlechtsspezifische Form von Mord. Wir fordern den Staat auf, eine korrekte Benennung dieser Taten mit dem Begriff „Feminizid“ in die Rechtsprechung und in alle institutionellen Vorgänge zu übernehmen. Wir fordern weiterhin die Aufnahme von Feminiziden als schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit und geächtete Kriegswaffe in die Genfer Konvention.

 

2. UMFASSENDE PRÄVENTION GESCHLECHTSSPEZIFISCHER GEWALT UNTER BETEILIGUNG DES STAATES UND DER ZIVILGESELLSCHAFT!

 

Wir fordern die Einführung einer Politik zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt, die Bildungspläne zum Thema Geschlecht und Geschlechterverhältnisse enthält. Dazu gehört die Aufstockung der finanziellen Förderung von Präventionsprogrammen an Kitas, Schulen, anderen Bildungseinrichtungen und im öffentlichen Raum, um strukturelle und geschlechterbasierte Macht- und Gewaltverhältnisse zu thematisieren und Raum für Auseinandersetzung zu schaffen. Des Weiteren fordern wir die professionelle Schulung und Beschäftigung entsprechenden Personals.

 

3. AUFSTOCKUNG VON RESSOURCEN FÜR DIE BEGLEITUNG UND BERATUNG FÜR MÄDCHEN, FRAUEN, LESBEN, INTER, NICHT-BINÄRE MENSCHEN UND TRANS PERSONEN, DIE VON GEWALT BETROFFENEN SIND!

 

Wir fordern die Aufstockung der öffentlichen Gelder und Ressourcen für Zufluchtsorte, wie Frauenhäuser, Wohnungen und Beratungsstellen für Mädchen, Frauen, Lesben, Inter, nicht-binäre Menschen und trans Personen, die Gewalt erleben oder erlebt haben. Wir unterstützen die Forderung der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser nach einer einzelfallunabhängigen und bundeseinheitlichen Finanzierung sowie einem Frauenhausfinanzierungsgesetz. Zufluchtsorte müssen auch für Inter, trans und jene Personen geschaffen werden, die sich außerhalb des binären Geschlechtersystems verorten. Wir fordern die Bereitstellung von zusätzlichen Geldern, um weitere Einrichtungen und Notruf-Hotlines zu schaffen, sowie eine sachkundige Begleitung der Hinterbliebenen.

 

4. ANERKENNUNG VON GESCHLECHTSSPEZIFISCHER GEWALT ALS GRUND FÜR FLUCHT UND MIGRATION UND DIE AUSSTELLUNG EINES BEDINGUNGSLOSEN AUFENTHALTSTITELS ALS KONSEQUENZ!

 

Wir fordern sichere Fluchtwege und ein Ende des EU­Grenzregimes. Wir fordern die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund. Wir fordern Personal mit Gender­ Kompetenzen, in den für den Empfang und die Bearbeitung von Asylanträgen zuständigen Einrich­ tungen. Wir fordern, dass der besondere Schutz von geflüchteten Frauen, Mädchen, Lesben, Inter, nicht­binären Menschen und trans Personen durch entsprechende Aufstockung und Ausstattung der Zufluchtsorte und Beratungsstellen gesichert wird. Der bedingungslose Zugang zu medizini­ scher Versorgung, zu Verhütungsmitteln, Hygieneartikeln und Schwangerschaftsabbrüchen muss unabhängig vom Aufenthaltstitel für alle Menschen gewährleistet sein.

 

5. TRANSFORMATIVE WEGE IM UMGANG MIT PATRIARCHALER GEWALT!

 

Wir fordern, dass keine weiteren Gelder für Polizei und Justiz bereitgestellt werden, sondern für gemeindebasierte Gerechtigkeitsinitiativen, soziale Infrastruktur, Bildung und zivilgesellschaftliche Projekte, die u.a. Präventions­ und Bildungsprojekte zu Gendergerechtigkeit und Unterstützung von Betroffenen und Überlebenden patriarchaler Gewalt anbieten. Als weiteren Zwischenschritt hin zu einer communitybasierten Verantwortungsübernahme in Gewaltfällen sehen wir die Einrichtung von Beschwerdestellen als sinnvoll an, welche unabhängig von Polizei und Justiz arbeiten und existieren.

 

6. ERFASSUNG, SYSTEMATISIERUNG, ANALYSE UND VERBREITUNG KLARER STATISTISCHER DATEN ZU GESCHLECHTSSPEZIFISCHER GEWALT DURCH UNABHÄNGIGE STELLEN!

 

Wir fordern transparente Statistiken und verbindliche Ressourcen als Arbeitsgrundlage für alle, die sich für die Vorbeugung und Wiedergutmachung von Schäden durch sexualisierte Gewalt einset­ zen. Diese Statistiken müssen durch unabhängige Stellen und unter Einbeziehung von Betroffenen und Überlebenden erarbeitet, erhoben, analysiert und verbreitet werden. Die Statistiken sollen sich auf feministische Arbeiten, Analysen und Berichte beziehen, die sich mit diesen Gewaltverhältnis­ sen weltweit seit Jahrzehnten auseinandersetzen. Für diese Arbeiten müssen den unabhängigen Stellen verbindlich finanzielle Ressourcen zugestanden werden.

 

7. VERBINDLICHE VERFAHRENSWEISEN FÜR DIE BERICHTERSTATTUNG ÜBER GESCHLECHTSSPEZIFISCHE GEWALT!

 

Wir fordern, dass Feminizide immer als solche, und somit als schwere Verbrechen, benannt wer­ den. Wir fordern, dass Begriffe wie „Familiendrama“, „Ehrenmord“ oder „Eifersuchtstat“ aus der Be­ richterstattung verschwinden, ebenso wie rassistische, schuldverschiebende oder reviktimisieren­ de Einordnungen der Taten. Wir fordern eine gerechte Berichterstattung bei allen Feminiziden, egal woher Betroffene und Täter stammen.

 

Was kannst du tun, um deine persönlichen oder lokalen Bemuehungen mit berlinweiter und globaler Unterstuetzung zu verbinden?

1. Werde Teil der Kampagne „Wir wollen uns lebend!“: schreibe uns, unterzeichne die Forderungen, teile dein Logo auf unserer Homepage, nutze unsere Hashtags #Wirwollenunslebend #NetzwerkgegenFeminizide #StopptFeminizide.

2. Teile die ganzen Informationen mit Freund*innen, Bekannten, Kolleg*innen, überall, wann und wo es geht.

3. Baue deine eigene Kampagne auf und nimm an globalen Aktionen teil.

4. Trage zum globalen Pool an Informationen und Ressourcen bei und nutze ihn.

Wenn ihr Kontakt mit uns aufnehmen wollt, meldet euch gern via E-Mail unter wir_wollen_uns_lebend@mailo.com.

Wir freuen uns!

*Wir nennen hier feminisierte Körper, weil Feminizide sich gegen Menschen richten, die in diesem Gewaltmoment als Frauen eingeordnet, bewertet, diskriminiert und an- gegriffen werden, auch wenn sie sich selbst als Lesben, Inter, nicht-binär oder trans definieren.

OFFENER BRIEF

WIR WOLLEN UNS LEBEND! NETZWERK GEGEN FEMINIZIDE

bottom of page